Daniel Nayber

Frida Leider: Naxos-Portrait

Zwei Jahrzehnte lang, leicht verkürzt durch politische Unbilden, gehörte FRIDA LEIDER zu den führenden hochdramatischen Sopranen. Auch für Frida Leider bedeutete das Konzentration auf Richard Wagner, jedenfalls in den Reifejahren ihrer Karriere. Kundry, Brünnhilde und zuletzt Isolde gehörten zwischen 1928 und 1938 zu ihren großen Bayreuther Festspielleistungen. Dennoch verfuhr die Künstlerin bei der Wahl ihrer Partien nicht einseitig, verkörperte neben den typischen "Ergänzungs"-Rollen ihres Faches wie Mozarts Donna Anna, "Fidelio"-Leonore (Beethoven) oder "Rosenkavalier"-Marschallin (Strauss) auch Glucks Armide (London 1928), Rachel in Halévys "Jüdin" (Chicago, um 1930) und eine Reihe von Verdi-Partien. Diese unterstellte sie ganz den Forderungen des Belcanto-Fachs. Eine Lady Macbeth hat Frida Leider allem Anschein nach nicht gesungen, wohl aber im Plattenstudio die Arie der Eboli ("Don Carlos"), normalerweise dem Mezzofach vorbehalten. Diese Einspielung aus der Trichter-Ära (also vor 1926) ist fulminant geraten, stellt aber wohl wie auch der Adriano in "Rienzi" ("Gerechter Gott") ein rein akustisches "Fremdgehen" dar. Diese Titel finden sich auf zwei Naxos-CDs (8.110744/45), welche die Diskografie Frida Leiders mit sorgsam ausgewählten Beispielen dokumentieren, zu gleichen Teilen aus frühen und späten Jahren, wobei in den letzteren dank MICHAEL RAUCHEISEN auch Liedaufnahmen entstanden, hier vertreten durch je zwei Titel von Schumann und Schubert, von letzterem auch das eine sehr bewegliche Stimme erfordernde "Auf dem Wasser zu singen".

Unter den frühen Aufnahmen gibt es Typisches aus dem Wagner/Leider-Repertoire, aber (neben Adriano) auch Senta und Elisabeth. Mit der "Ozean"-Arie, wo Frida Leiders Sopran das Weltall der Töne wie eine Leuchtrakete zu durchschneiden scheint, wird der dramatische Gestus des Repertoires ansonsten unmissverständlich vorgegeben, wenn teilweise auch in lyrischer Milderung (Armide). Bei Verdi stehen Aida und "Trovatore"-Leonore der fraulichen Stimme Frida Leiders durchaus nahe. Die perfekten Triller von "D'amor sull'ali rosee" werden bei Brünnhildes "Hojotoho" (nicht auf diesen CDs enthalten) wirkungsvoll wiederkehren. Noch wesentlicher ist allerdings, dass sich die Beherrschung des italienischen Belcanto günstig auf Wagners Figuren auswirkt: "Melodie als Ursprung allen Singens", wie es Rudolf Bockelmann einmal formulierte. Auch für die beiden großen Wagner-Szenen der zweiten CD - "Tristan"-Liebesduett mit LAURITZ MELCHIOR (1929 unter ALBERT COATES) und Brünnhildes "Starke Scheite" (1928 unter LEO BLECH) - gilt dies uneingeschränkt. John B. Steane hat in "The Grand Tradition" Frida Leiders Gesang denn auch wie folgt charakterisiert: "Er hat vollkommenen Charakter, erreicht jene selten verwirklichte Qualität, wo das Heroische nicht 'unmenschlich' wird, und wo das Menschliche nicht den Ausdruck tragischer Größe abschwächt."

Orpheus 3/4 2004

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